Tradition

Sprachen intensiv lernen am LSI
Seit 50 Jahren eine Erfolgsgeschichte

Die Globalisierung als Megatrend der letzten Jahrzehnte führte zu einer nie gekannten Vernetzungsdichte wirtschaftlicher und kommunikativer Prozesse, bei denen die relative Nähe oder Entfernung von Ländern, Gesellschaften, Staaten und Kulturen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Um so schwerer ist vorstellbar, dass vor 50 Jahren weite Teile der Welt – wenn überhaupt - nur minimalen Einblick und Zugang gewährten, wie die damalige UdSSR und die Volksrepublik China. Längere Aufenthalte waren nahezu ausgeschlossen, Russisch oder Chinesisch im Land zu lernen, stellte eine absolute Ausnahme dar. Erstmalig 1973 konnte ein bundesdeutscher Student einen Studienaufenthalt in der Sowjetunion antreten, um vor Ort Russisch zu lernen. Gleichzeitig stieg aber in der Bundesrepublik das Interesse für Russisch an Hochschulen und in der Wirtschaft, das nicht zuletzt durch verbesserte politische Rahmenbedingungen (Moskauer Verträge 1970) und eine sich allmählich entwickelnde Wirtschaftskooperation ausgelöst wurde.

Dem so entstehenden Bedarf an Sprachkenntnissen und damit auch an neuen Lernorten für Russisch und Chinesisch kam die Landesregierung Nordrhein-Westfalens 1973 mit dem wegweisenden Entschluss entgegen, ein Lehrinstitut für die russische Sprache, den Vorläufer des heutigen Russicums, in Bochum einzurichten. Mit diesem Institut wurde der erste institutionelle Baustein für das spätere Landesspracheninstitut gelegt.

Johannes Rau, NRW-Minister für Wissenschaft und Forschung, im Jahr der Gründung des Russicums 1973.

Aufbau und Profil

Zur Institutseröffnung formulierte der damalige Minister für Wissenschaft und Forschung und spätere Bundespräsident Johannes Rau die Gründe für die Initiative:

"Ein Studienaufenthalt in der Sowjetunion für jeden, der die russische Sprache lernen will, ist heute noch nicht möglich. So wird dieses Institut vorerst einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen dem deutschen und dem russischen Volk leisten."

Die maßgebliche konzeptionelle und politische Initiative zur Schaffung des Russicums ging auf den Sprachlehrforscher und Lehrbuchautor Prof. Dr. Friedhelm Denninghaus (RUB) zurück, die Gründung des analog angelegten Landesinstituts für die Chinesische Sprache (Sinicum) 1980 auf den bedeutenden Sinologen Prof. Dr. Helmut Martin (RUB), der auch als erster Leiter fungierte. Das Russicum wurde in den ersten Jahrzehnten durch Helmut Keusen und Barbara Šubik geführt. Bereits 1981 wurde das Sinicum durch das Japonicum erweitert, 1985 dann abschließend das Arabicum ins Leben gerufen. Alle drei Institute firmierten fortan unter der Bezeichnung Landesinstitut für die chinesische, japanische und arabische Sprache, das parallel zum Russicum dem Land NRW direkt unterstellt war. 1993 fusionierten beide Einrichtungen unter der Bezeichnung Landesspracheninstitut NRW, das 2007 als zentrale Betriebseinheit in den Bestand der Ruhr-Universität Bochum überführt wurde.

Auch das Sprachenprofil veränderte sich: Mitte der 2000er Jahre kam als weitere Sprache Koreanisch zum Sprachangebot des LSI hinzu, ohne jedoch einen eigenen Institutsstatus zu erhalten. Gleiches gilt für Persisch, das in den Varianten Farsi und Dari in geringem Umfang, aber durchaus regelmäßig angeboten wird.

Zielgruppen

In den 1970er - 80er Jahren, in denen Orte für intensives Sprachenlernen noch rar waren, entwickelte sich in Bochum schnell eine große Nachfrage: allein im Russicum lernten damals über 1.000 Personen pro Jahr in einmonatigen Kursen Russisch, mehrmonatige Wartelisten für einen Platz im Sprachkurs prägten den Institutsalltag.

Zur Klientel aller Institute zählten in der Anfangsphase mehrheitlich Studierende aus Hochschulen der Bundesrepublik und des deutschsprachigen Auslands, aber auch viele Angehörige des öffentlichen Dienstes, vor allem Diplomaten, darüber hinaus Journalisten und Wirtschaftsvertreter, die sich im LSI auf Auslandseinsätze vorbereiteten. Über die Jahre differenzierten sich die Zielgruppen, die den Weg in LSI fanden: von Soldaten der Bundeswehr, die sich auf Einsätze in Afghanistan vorbereiteten, über Banker und Manager großer Wirtschaftsunternehmen, Vertreter internationaler Hilfsorganisationen bis zu den Astronauten der ESA, die für ihre Weltraumaufenthalte im LSI Russisch und Chinesisch lernen. Waren vormals die meisten Kursteilnehmer primär durch Beruf oder Studium zu ihrem Aufenthalt am LSI motiviert, sind es heute auch viele Personen, die sich eher unspezifisch für Sprache, Kultur oder Geschichte der LSI-Zielländer interessieren.

Lernziele und didaktische Entwicklungen

Im bewussten Gegensatz zur damaligen Slavistik, Sinologie oder Orientalistik, die durch ein traditionelles, philologisch-historisches bzw. deskriptives Verständnis von Fremdsprachen geprägt waren, richteten sich  die Lernziele des LSI von Anfang an auf die Vermittlung sprachpraktischer, d.h. im Alltag direkt anwendbarer Sprachfertigkeiten: im Vordergrund stand das fremdsprachliche Handeln in Situationen und zu Themen, wodurch das LSI  - lange vor dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen -  ein fremdsprachliches CAN DO verfolgte und seinen Unterricht inhaltlich wie funktional daran ausrichtete. Vergleichbare Kompetenzen konnte die damalige philologische Ausbildung nicht ansatzweise gewährleisten, in deren Zentrum die fremdsprachliche Lektüre und Analyse historischer Texte sowie das Einüben von Übersetzungsfertigkeiten standen, was wiederum den Zustrom vieler Studierenden erklärte, die zwar eine fremdsprachliche Philologie studierten, aktive Fertigkeiten wie Sprech- und Hörverständnis allerdings erst am LSI erwarben. Lektüre- und Übersetzungskurse waren indes am LSI vor allem im Oberstufenbereich vorgesehen.

Die besondere Konzentration auf mündliche Kommunikation hatte gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Gründe, sie war allerdings auch Ausdruck der sprachdidaktischen Wende von der Pattern-Drill-Methode zum kommunikativen Unterricht, in dessen Mittelpunkt nicht mehr das seit den 1960er Jahren bekannte formale Training sprachlicher Strukturparadigmen, sondern der Erwerb aktiver, in echter, situativer oder themenbezogener Kommunikation unmittelbar einsetzbarer Sprech- und Hörfertigkeiten stand.

Das Russicum und auch die anderen Institute verfolgten damit ein höchst modernes, wachsenden Kommunikationsbedürfnissen wie sprachdidaktischer Theorie entsprechendes Lehrkonzept, das von Anfang an durch audio-visuelle, später multimediale Komponenten angereichert wurde. In allen Instituten wurden in den Anfangskursen die notwendigen Kenntnisse der jeweiligen Schriftsysteme vermittelt. Eine Ausnahme bildet hier nur das Chinesische, das im Unterricht auf die Pinyin-Umschrift zurückgreift. 

Zu Beginn ihrer Lehrtätigkeit, aber oftmals auch danach, standen alle Institute vor der Herausforderung, für den Intensivunterricht eigene neue Inhalte, Präsentations- und Übungsformen zu entwickeln, die sich in der Regel von den in den Zielsprachen traditionell verwendeten Systematisierungen oder Darstellungsweisen, z.B. im Bereich der Grammatik, signifikant unterschieden. Zwar existierte für die russische Sprache seit den 1960er Jahren eine ausgeprägte Fremdsprachendidaktik, was allerdings für das Chinesische, Japanische oder Arabische als Fremdsprache nicht in gleicher Weise der Fall war. In dieser Situation waren alle Institute gezwungen, didaktische Methoden genuin neu und so zu entwickeln, dass sie den organisatorischen Spezifika des Intensivunterrichts im Sinne einer problemarmen Koexistenz hochkomprimierter Fertigkeiten- und Wissensvermittlung und zeitlich knapper Einübungs- und Festigungsphasen entsprachen. Mit der kontinuierlichen Entwicklung eigener Grund- und Aufbaustufenwerke, die nunmehr mehrere Generationen und zahlreiche Neuauflagen umfassen, leistete das LSI ebenfalls Pionierarbeit.

Für den Unterricht jeder einzelnen LSI-Sprache entwickelten sich mit der Zeit besondere methodisch-didaktische Verfahren heraus, so dass von einer einheitlichen LSI-Methode nicht gesprochen werden kann. Das LSI-Japonicum verwendet beispielsweise Elemente der TPR-Methode (total physical response) und suggestopädische Ansätze, die nicht in allen LSI-Kursen zum Einsatz kommen. Alle Institute greifen indes umfassend auf eine breite Fülle von Sprachanwendungsszenarien zurück, wie z.B. Rollenspiele, Partnerarbeit, Dialoge oder Situationssimulationen, wobei auch hier das aktive CAN DO in realen Kontexten der Sprachverwendung oberstes Ziel bleibt. Das Vermitteln und Einüben grammatischer Strukturen ist dabei den situativ-kommunikativen Unterrichtsanteilen nachgeordnet, wenngleich im Sprachunterricht Grammatik durchaus auch explizit vermittelt wird, wo es unterrichtsökonomisch oder aus Kognitionsgründen angeraten ist.

Die ersten Jahrzehnte waren somit geprägt durch eine intensive Aufbau- und Konzeptarbeit auf wissenschaftlicher Grundlage, bis alle Kursformate und -stufen vollständig realisiert waren. Heute reicht die Progression der LSI-Kurse von A1 – B2/C1, im Fachsprachenbereich auch bis C2. Grund- und Aufbaustufe umfassen jeweils zwei Sprachkurse (à zwei Wochen mit insgesamt 60 bzw. 72 Unterrichtseinheiten). Danach schließt sich eine flexible Oberstufe mit thematischen Kursen (zu Politik, Gesellschaft, Medien, Wirtschaft etc.) unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads an. Die veränderten Rahmenbedingungen des Jahres 2020 führten zusätzlich zur Einrichtung eines neuen Distant-Learning-Kursformats, bei dem der übliche zweiwöchige Lernumfang (60 bzw. 72 UE) auf 10 Wochen ausgedehnt wird, so dass dieses neue Format berufsbegleitend, ubiquitär, aber dennoch teilintensiv mit 2 x 3 UE pro Wochen besucht werden kann.

Für das LSI-Modell war bezeichnend, dass es durchgehend auf einer dominanten Lehrerrolle basierte und selbstbestimmtes Lernen außer in den Nachbereitungsphasen zwar eine wichtige, aber dennoch nachgeordnete Rolle spielte. Dieser Umstand war weniger methodisch-didaktischen Überzeugungen als vielmehr den organisatorischen Anforderungen des Intensivformats geschuldet, im dem zeitintensive, selbstbestimmte Lernphasen in dem engen Zeitrahmen eines Aufenthalts am LSI als wenig effizient erscheinen mussten. Neben seinem durch Lehrwerke und Lernmaterialien vorgegebenen Lernparcours bietet das Institut auch Hilfestellungen zur Entwicklung  individueller Lernstrategien; autonomes Fremdsprachenlernen, das deutlich umfangreichere Lernzeiten erfordert, erhielt erst mit der Einführung des onlinebasierten Lernens und des extensiven 10-Wochen-Formats ein größeres Gewicht. Gerade das zeitlich wie stofflich hochverdichtete Präsenzlernen mit einer ausgeprägten Lehrerrolle, die in verschiedenen Unterrichtsszenarien sehr wohl auch Assistenzfunktionen übernimmt, entwickelte sich zum Markenkern des LSI, an dem die Effektivität eines Aufenthalts am Institut nach wie vor gemessen wird. Zu diesem Markenkern zählt natürlich auch die weiterhin primäre Ausrichtung auf Sprechfertigkeit und Hörverstehen. In den Kursen der Aufbau- und Oberstufe sowie in speziellen online-basierten Kursen vermittelt das LSI darüber hinaus auch Lesekompetenzen.

Aktuelle Trends

Tendenzen der letzten Jahre zeigen sowohl hinsichtlich der Nachfrage nach Fremdsprachenlernen, als auch in Bezug auf Lernerwartungen, Lernzeiträume und individuelle Motivation signifikante Veränderungen, die das LSI unmittelbar tangieren: zwar steht nach wie vor das Präsenzlernen im Mittelpunkt, jedoch manifestieren sich deutliche Verschiebungen in Richtung personalisierten Lernens (Einzeltrainings), des Lernens mit neuen, ubiquitär verfügbaren Lernressourcen und –technologien (Online- und Distance Learning) sowie eines bewussteren Umgangs mit Lernzeiten, die für den Spracherwerb durch den Lernenden zur Verfügung gestellt werden.

Hintergrund dieser Entwicklung ist ein Wandel in den Einstellungen gegenüber der Fremdsprache, ihres Status, ihrer Wertigkeit und Verwendbarkeit. Parallel hierzu nimmt die Bedeutung des Englischen als weltweiter lingua franca zu, wodurch sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Erwerbs einer anderen Fremdsprache z.B. aus beruflichen Gründen, neu stellt. Zwar ist die Beherrschung des Russischen oder Japanischen weiterhin für den beruflichen Erfolg im Land ein außerordentliches Plus, unabdingbare Voraussetzung für ein Geschäftsmeeting ist sie nicht mehr. Kompetenzen in den LSI-Sprachen streben daher mehr und mehr Personen an, die diese  - wie seit den Anfängen des Institut -  aus Studiengründen benötigen bzw. für den privaten oder beruflichen Bereich ein vertieftes, kulturell eingebettetes Wissen über Sprache und Land erwerben wollen. Der Fremdsprachenerwerb, insbesondere der LSI-Sprachen, wird damit zu einem zunehmend exklusiven Vorhaben im Zeichen von Individualisierung und Personalisierung. Hinzu kommt, dass sich das Lernen per App, Lernvideo oder kommerziellen Lernplattformen im Internet zu einem dynamischen Wachstumsmarkt und damit zu einer unübersehbaren Konkurrenz entwickelt hat, wohingegen Präsenzlernangebote eine eher rückläufige Nachfrage verzeichnen.

Auf diese neuen Rahmenbedingungen reagiert das Landespracheninstitut seit 2014 mit der Entwicklung neuer virtueller Lernmodelle, die die vorhandenen Präsenzangebote essentiell erweitern. Unter der Bezeichnung LSI.online entwickelt das LSI für seine Sprachen eine Lernplattform, die zum einen funktional den Anforderungen personalisierten und selbstbestimmten Lernens entspricht, zum anderen die in Präsenz vermittelten Lerninhalte langfristig für die Lernenden verfügbar macht und darüber hinaus die technische Basis für die neuen, virtuellen Kursformate darstellt. Außerdem stehen auf LSI.online zahlreiche Kurse für den autonomen Online-Spracherwerb zur Verfügung.

Nach fast 50 Jahren und über 46.000 Kursteilnehmern ist das LSI mit seinen vielen jungen Sprachlehrenden nach wie vor das wichtigste Kompetenzzentrum für intensiven Fremdsprachenerwerb in Deutschland. Es verbindet hoch qualitativen Intensivunterricht mit neuesten Technologien, die in Kombination den Kern seiner unverwechselbaren Lernkultur ausmachen.