Mit Der Fluch des Hasen hat die koreanische Autorin Bora Chung ein außergewöhnliches Werk vorgelegt – ein Erzählband zwischen Horror, Märchen und Gesellschaftskritik. Für die deutsche Fassung zeichnet die renommierte Übersetzerin Lee Ki-Hyang verantwortlich. Im Vorfeld der Lesung mit der Autorin am LSI Bochum (27. Juni 2025) sprachen Studierende der Ruhr-Universität mit Lee über die Herausforderungen und Freuden der literarischen Übersetzung. In dem Gespräch erzählt sie, warum sie der erste Satz des Buches bis heute beschäftigt, wie eine Lieblingsgeschichte beinahe zum Bilderbuch wurde – und warum sie das fertige Buch am liebsten gar nicht mehr aufschlägt.
Übersetzung aus dem Koreanischen
„Manchmal hätte ich mehr Mut zur Freiheit haben sollen“

Foto: Steffen Prößdorf / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0
Wie lange haben Sie an der Übersetzung gearbeitet? Wann waren Sie richtig zufrieden mit Ihrer Übersetzung?
Ich glaube, ich habe etwa zehn Monate an der Übersetzung gearbeitet. Da ich auch andere Aufgaben habe, konnte ich mich nicht ausschließlich dem Übersetzen widmen, sondern musste meine Zeit gut einteilen. In der Regel schaue ich mir das gedruckte Buch nicht mehr an, wenn ein Übersetzungsprojekt abgeschlossen ist. Zum einen warten schon die nächsten Projekte auf mich, zum anderen habe ich dann das Gefühl, genug daran gearbeitet – oder eher: mich genug damit gequält – zu haben. Mit einer Übersetzung wirklich zufrieden zu sein, ist noch einmal eine andere Sache. Man ist eigentlich nie ganz zufrieden mit seiner Arbeit – egal, was man macht. Aber irgendwann muss man einen Kompromiss finden, sonst wird man nie fertig.
Welche Geschichte aus "Fluch des Hasen" ist Ihre Lieblingsgeschichte?
Die Kurzgeschichte Herrscher über Wind und Sand. Ich liebe Märchen, und genau diese Erzählung hat etwas wunderbar Märchenhaftes. So wie bei dem Buch Des Kaisers Nachtigall, das ich wegen der einzigartigen Illustrationen verlegt habe, hatte ich auch bei der Übersetzung von Herrscher über Wind und Sand den Wunsch, daraus ein Bilderbuch zu machen. Ich habe beim Verlag und bei der Agentur der Autorin angefragt, ob ich die Rechte dafür bekommen könnte – leider ohne Erfolg. Aber das visuelle Bild dieser Geschichte trage ich bis heute in mir. Schließlich bin ich ja auch Kinderbuchverlegerin.
Welche Geschichte war die schwierigste zum Übersetzen?
Die Geschichte Der Eisfinger fand ich besonders interessant – und zugleich ziemlich schwierig zu übersetzen. Die Beziehungen zwischen den Figuren waren zunächst verwirrend dargestellt, und erst gegen Ende wurde mir der Zusammenhang klar. Das führte dazu, dass ich die Geschichte noch einmal von vorn mit einem neuen Blickwinkel übersetzen musste. Auch bei der Geschichte Der Fluch des Hasen war die Übersetzung eine Herausforderung – besonders der erste Satz hat mir viel Kopfzerbrechen bereitet: Wie lässt sich dieser knappe koreanische Einstieg – ohne Subjekt, ohne klaren Zusammenhang – ebenso knapp und doch wirkungsvoll ins Deutsche übertragen? Mir kam dabei immer wieder die Präzision der deutschen Sprache in die Quere, die wenig Spielraum lässt, ohne an Klarheit einzubüßen. Rückblickend denke ich, ich hätte etwas mehr Mut zur Freiheit haben können – weniger streng am Original haften, freier übersetzen.
Warum haben Sie gerade dieses Buch übersetzt? Was hat sie überzeugt?
Der Verleger hat mich per E-Mail gefragt, ob ich Zeit und Lust hätte, dieses Buch zu übersetzen. Als ich das Original gelesen habe, hat mir schon der erste Satz so gut gefallen, dass ich zugesagt habe.
Haben Sie mit Kollegen zusammengearbeitet, wie z.B. deutschen Muttersprachlern? Wenn ja, wann während des Übersetzens?
Da ich keine deutsche Muttersprachlerin bin, arbeite ich grundsätzlich mit Native Speakern zusammen. Nachdem ich die erste Fassung der Übersetzung abgeschlossen habe, übernehmen meine Lektoren das Manuskript. Dann gehe ich ihre Korrekturen durch, prüfe, ob sie manche Stellen eventuell missverstanden haben, und überarbeite entsprechend ihrer Anmerkungen. Dieses Hin und Her ist zeitaufwendig, aber notwendig – so entsteht ein Text, der dem Original nahekommt und trotzdem gut lesbar ist.
Wie sind Sie Übersetzerin geworden? War das schon immer Ihr Traum?
Ich wollte nie bewusst Übersetzerin werden – es hat sich einfach so ergeben. Während meiner Promotionszeit schickte mir meine Schwester eine Zeitungsanzeige mit einer Ausschreibung zur Übersetzung koreanischer Literatur. Ich habe mich beworben und ein Stipendium für ein Übersetzungsprojekt bekommen. Damals gab es nur sehr wenige Menschen, die koreanische Literatur ins Deutsche übersetzen konnten. Mit dem Stipendium konnte ich fast ein ganzes Semester finanzieren. Wenn ich heute zurückblicke, denke ich: Ich war naiv und mutig. Als Nicht-Muttersprachlerin hätte ich mich das heute wahrscheinlich nicht mehr getraut. Nach dem ersten Projekt wollte ich es eigentlich nicht wieder tun – und trotzdem übersetze ich bis heute weiter. Es ist seltsam: Sobald man ein fertiges Buch in den Händen hält, vergisst man die ganze Mühe – und beginnt einfach wieder von vorn.
Wie gehen Sie generell an eine Übersetzung heran? Gibt es bestimmte Rituale (z.B. Tageszeit, Teesorte, Raum, Musik)?
Ich schlafe nur etwa fünf bis sechs Stunden am Tag und arbeite gerne und schnell. Es gibt keine feste Zeit, zu der ich ausschließlich übersetze – ich nutze jede verfügbare Zeit für meine verschiedenen Aufgaben. Pro Semester unterrichte ich acht bis neun Stunden an Universitäten, verlege zwei bis fünf Bücher pro Jahr und übersetze etwa ein bis zwei Bücher alle anderthalb Jahre. Beim Übersetzen brauche ich absolute Ruhe – keine Musik, kein Radio. Beim Haushalt höre ich gern BR2 oder BR5, aber wenn Konzentration gefragt ist, darf mich nichts ablenken.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen beim Übersetzen vom Koreanischen ins Deutsche?
Schwierig sind Redewendungen, die ich nicht passend ins Deutsche übertragen kann, da sie nicht verstanden würden. Oder unlogische und sich wiederholende Satzstrukturen, die im Koreanischen üblich sind – die ich aber im Deutschen möglichst verständlich und stilistisch angemessen gestalten muss. Auch die vielen blumigen, manchmal übertriebenen Adjektive machen mir oft zu schaffen – sie in einen lesbaren, natürlichen deutschen Satz zu bringen, ist eine echte Herausforderung. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass das Koranische Weglassungen erlaubt, die es erschweren, den korrekten Bezug herzustellen. Insbesondere dann, wenn die Autorin bzw. der Autor bewusst mit dieser Unschärfe arbeitet, der Leser also absichtlich im Ungewissen gelassen werden soll, wer die handelnde Person ist, ist das schwer aufzulösen.
Wie achten Sie auf kulturellen Kontext bei der Übersetzung?
Inzwischen ist die koreanische Kultur weltweit bekannt – deshalb kann man viele Begriffe ohne große Erklärung verwenden. Wo das nicht möglich ist, versuche ich, einen passenden Ausdruck im Deutschen zu finden, der dem kulturellen Kontext nahekommt. Ich bin keine Freundin von Fußnoten in literarischen Texten. Gelegentlich setze ich auf erläuternde Einschübe. Heutzutage haben Leser mehr denn je die Möglichkeit, Begriffe oder Hintergründe selbst nachzuschlagen – bildlich oder schriftlich.
Welche Tipps haben Sie für Studierende der koreanischen Sprache, die gerne Literatur gut übersetzen möchten?
Viel lesen – und viel selbst schreiben, wie Autorinnen und Autoren es tun. Die Beherrschung der eigenen Muttersprache neben einer soliden koreanischen Sprachkompetenz spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wenn ich Werke von Thomas Mann oder Stefan Zweig lese, bin ich immer wieder beeindruckt von ihrer sprachlichen Präzision und Ausdruckskraft.