Tagalog

Im Gespräch mit Vincent Wongaiham-Petersen

Wenn es so etwas wie ein Paradies für Sprachinteressierte gibt, dann wären das sicher die Philippinen. Das hängt nicht zuletzt mit der bewegten Geschichte des südostasiatischen Inselstaates zusammen. Der portugiesische Seefahrer Magellan landete 1521 auf dem Archipel - als erster Europäer, aber keineswegs als erster Besucher aus Übersee. Chinesische und arabische Händler waren schon lange auf den Philippinen unterwegs, ebenso wie malaiische Einwanderer, die um 1500 die heutige Hauptstadt Manila gründeten. Ab 1571 herrschten die Spanier als Kolonialherren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernahmen die Amerikaner. Seit 1946 sind die Philippinen ein unabhängiger Staat.

Dies alles spiegelt sich wider in einer enormen sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Auf den Philippinen gibt es etwa 180 gesprochene lokale Sprachen (Fremdsprachen nicht mitgerechnet), von denen 10 als Hauptsprachen gelten. Hinzu kommt Filipino, die Amts- und Nationalsprache der Philippinen. Diese basiert auf Tagalog, einer Sprache, die ursprünglich in der Gegend von Manila gesprochen wurde (und heute noch gesprochen wird). 

 

Das LSI bietet seit 2023 Tagalog in Intensivsprachkursen an. Kursleiter ist Vincent Wongaiham-Petersen vom Asien-Afrika Institut der Universität Hamburg.

Herr Wongaiham-Petersen, wie würden Sie in eigenen Worten den Charakter von Tagalog beschreiben?

Für Einsteiger ist es sicher keine einfache Sprache. Es gibt viele Dinge, die man beachten muss – die Reihenfolge der Wörter, den Satzbau und einiges mehr. Aber, und das wird alle diejenigen freuen, die sich auf Tagalog einlassen: Sobald man die Regeln kennt, kann man sie weitgehend konsequent anwenden, auch wenn es einige Ausnahmen und Unregelmäßigkeiten gibt. Tagalog kennt außerdem viele Lehnwörter aus europäischen und anderen Sprachen, insbesondere aus dem Spanischen und dem Englischen.

Gibt es eine eigene Schrift?

Es gab eine Schrift. Die wurde während der spanischen Kolonialzeit nach und nach aufgeben, als immer mehr Lehnwörter hineinkamen, die man mit der alten tagalischen Schrift nicht wirklich darstellen konnte. Das heutige Tagalog wird in lateinischer Schrift geschrieben, die alte Schrift ist aber nicht vollständig verschwunden. Man sieht sie manchmal in Illustrationen oder Materialien, die die philippinische Kultur und Traditionen fördern, aber sie findet in der alltäglichen Kommunikation oder im Schriftverkehr keine Verwendung mehr.

Das ursprüngliche Tagalog, wie es vor der Ankunft der Spanier im Gebrauch war – ist das heute noch greifbar? Kann man es studieren, wie zum Beispiel die historischen Sprachstufen des Deutschen?

Da bin ich kein Experte, weil ich mit dem modernen Tagalog groß geworden bin. Ein Tagalog ohne englische oder spanische Wörter zu sprechen wäre theoretisch möglich, es würde aber nicht natürlich klingen, da viele dieser Lehnwörter mittlerweile ein integraler Bestandteil des modernen Tagalog sind.

Ist Tagalog Ihre Muttersprache?

Unter anderem ja. Ich bin großgeworden mit Tagalog, Englisch und dem chinesischen Fújiàn-Dialekt. Viele Kinder auf den Philippinen sprechen zunächst eine der zahlreichen philippinischen Sprachen, und lernen in der Schule Tagalog und Englisch. Das Chinesische ist bei mir eine Besonderheit, die sich aus meiner Familiengeschichte ergibt. Wir haben in unserer Alltagskommunikation mehrere Sprachen gemischt. Viele Familien machen das so und sprechen zum Beispiel Taglisch, eine Mischform aus Tagalog und Englisch, besonders in der Hauptstadt.

Wie verhält es sich mit Filipino? Da ließt man, es sei die  „auf dem Tagalog basierende Amts- und Nationalsprache der Philippinen“. Bedeutet das, dass es landesweit verstanden und beherrscht wird?

Nicht unbedingt. Tagalog wird in der Hauptstadt Manila und dem Umland gesprochen, aber es gibt viele philippinische Sprachen. In der Provinz spricht man in den Familien nicht Filipino Tagalog. In den Schulen wird Tagalog unterrichtet, aber das muss man sich klar machen: Für philippinische Kinder, die Zuhause nicht Tagalog sprechen, ist die Nationalsprache unseres Landes erstmal eine Fremdsprache.

Würden Sie sagen, dass jeder Erwachsene auf den Philippinen Tagalog versteht?

Im Großen und Ganzen ja, weil es auch durch die Medien weit verbreitet ist. Aber einige Leute, vor allem in der Provinz, sprechen es ungerne, weil es eben nicht immer die eigene Muttersprache ist.

Auch in Deutschland lernen Menschen Tagalog. Sie sind vermutlich einer der wenigen professionellen Lehrer dafür hierzulande?

Wenn Sie damit Unterricht in deutscher Sprache meinen, bin ich, soweit ich weiß, der Einzige. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die Tagalog auf Englisch unterrichten. Das kann man machen, wenn die Lernenden gut Englisch sprechen. Aber eine Fremdsprache durch eine andere Fremdsprache zu lernen, ist nicht optimal. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser funktioniert, Tagalog ausgehend vom deutschen Verständnis von Grammatik und Sprache auf Deutsch zu vermitteln.

An welches Publikum richtet sich das?

Die meisten Tagalog-Lerner sind Menschen mit philippinischen Wurzeln. Dazu kommen Familienangehörige, Ehepartner und Freunde von Filipinos. Manche haben berufliche Gründe. Auf den Philippinen wird natürlich auch Englisch gesprochen – aber für Geschäftsleute und Firmen kann Tagalog ein wichtiges Plus sein, wenn es um zwischenmenschliche Aspekte und um die Pflege guter Beziehungen geht. Deutsche neigen dazu, geschäftliche Beziehungen und private Freundschaften voneinander zu trennen. Das ist in anderen Kulturen oft anders. Da gilt: Freundschaft und gute Beziehungen kommen zuerst, damit ein Geschäft überhaupt möglich wird.

Viele Menschen, wahrscheinlich nicht nur in Deutschland, gehen davon aus: Englisch ist die internationale Business-Sprache, das muss reichen. Das mag man arrogant finden oder auch pragmatisch, weil es oft den Realitäten entspricht. Wie sehen Sie das?

Man darf nicht vergessen, dass sich ein Teil der Kultur eines Landes nur durch die Sprache erschließt. Der britische Botschafter oder die britische Botschafterin auf den Philippinen wird darauf vorbereitet, indem die Person bereits bei Dienstantritt die Sprache beherrscht, sehr zur Überraschung der Filipinos. Viele würden ihr Englisch auffrischen, wenn sie wüssten, dass sie mit dem britischen Botschafter oder der Botschafterin sprechen. Doch sie sind erstaunt, wenn die Kommunikation in fließendem Filipino erfolgt. Dies bringt Respekt und schafft eine sofortige Verbindung, die sich in ihrer Wirkung kaum bemessen lässt. Ich denke, dass Deutsche daraus etwas lernen könnten.

Wie sieht die philippinische Community in Deutschland aus?

Es gibt etwa 65.000 Filipinos in Deutschland, dazu zählen auch Personen, die bereits die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Hier geborene Kinder von Filipinos, die schon von Geburt an Deutsche sind, nicht mitgerechnet. Oft interessieren gerade die sich für Tagalog, weil sie die Sprache bis ins Erwachsenenalter hinein noch nicht gelernt haben, sie aber Teil Ihrer Herkunft und persönlichen Familiengeschichte ist.

Sie unterrichten Tagalog auch an der Universität?

Genau, am Asien-Afrika Institut der Universität Hamburg im Fachbereich Sprachen und Kulturen Südostasiens. Tagalog ist dort eine von mehreren Sprachkurs-Optionen die man im Rahmen des Studiums belegen kann. Manche Studierende denken, Tagalog sei leicht zu lernen, merken dann aber schnell, dass es schon ein ernsthaftes Bemühen erfordert. Deshalb passt Tagalog auch gut ans LSI mit seinem Fokus auf Intensivkursen. Das gibt den Lernenden den nötigen Raum und die Konzentration, wirklich in die Sprache hineinzukommen.

Welche Vorteile bietet ein Intensivkurs darüber hinaus?

Ich habe früher schon Intensivsprachkurse geleitet, allerdings auf Englisch und nur eine Woche. Momentan unterrichte ich häufig online in Abendkursen. Da haben die Teilnehmer dann eine Woche Zeit, alles wieder zu vergessen (lacht)! Tagalog intensiv auf Deutsch kann man in der Form nur am LSI lernen. In den zwei Kurswochen haben wir den Lernstoff von zwei Uni-Semestern durchgenommen, das ermöglicht erhebliche Lernfortschritte.

Welche Perspektive haben die Teilnehmer nach dem Kurs und wie können sie weitermachen?

Der zweiwöchige Intensivkurs vermittelt solide Grundlagen in Tagalog. Es ist entscheidend, eine strukturierte Herangehensweise zu haben, um sicherzustellen, dass diese Grundlagen fest verankert werden. Darauf können die Lernenden eigenständig aufbauen. Derzeit gibt es keinen Fortsetzungskurs Tagalog 2, es besteht aber die Möglichkeit, online weiter mit mir zu lernen oder sich eigenständig mit der Sprache auseinanderzusetzen. Viele Netflix-Serien bieten inzwischen Untertitel in Tagalog an, was eine gute Methode ist, die Sprache im Kontext zu erleben und etwas Neues zu lernen. Und sollten sie bis dahin alles vergessen haben, können die Teilnehmenden wiederkommen – zum nächsten Tagalog-Intensivkurs für Einsteiger am LSI.