Digitales Bezahlen in Japan
Bleibt Cash King?
Die Japaner horten ihr Geld noch immer lieber in der Kommode als in Anlagen - damit bleibt es dem Wirtschaftskreis entzogen. Die Regierungsstrategie „Cashless Vision" will dies ändern und das Land zugleich Touristen gegenüber öffnen.
Von Britt Bielewicz

,,Ein globaler ,Krieg gegen das Bargeld"', lautet die Überschrift eines Artikels in der digitalen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 11. Januar 2017. Global stellen Staaten und Zentralbanken Pläne auf, Geldscheine mit hohem Nominalwert abzuschaffen. So gibt etwa die Europäische Zentralbank seit dem 27. April 2019 keine neuen 500-Euro-Scheine mehr aus. Banken schließen sich zusammen und bringen digitale Systeme auf den Markt, mit denen man von Person zu Person Geld übertragen kann, wie etwa in Kanada oder Schweden. Auch in Japan hat die Administration unter Premier Shinzo Abe in ihrer 2014 revidierten Strategie zum „Wiederbeleben Japans" das Ziel aufgenommen, bargeldlose Zahlungsmittel zu verbreiten. Umgesetzt werden soll es im Rahmen des Projekts „Cashless Vision".
Aber warum muss in einem so technologieaffinen Land wie Japan die Nutzung von bargeldlosen Zahlungsmitteln aktiv vom Staat stimuliert werden? Überraschenderweise fällt Japan im globalen Vergleich in die Kategorie der Staaten, in denen sich der Bestand an Bargeld vergrößert, wie etwa auch in Südkorea oder den USA. Die Rate Bargeld/BIP lag 2018 in Japan bei 20%, also etwa doppelt so hoch wie die der Eurozone. Diese Rate wird oft mit der Bargeldnachfrage gleichgesetzt. Auch der Anteil der bargeldlosen Zahlungsmittel an allen Transaktionen ist im globalen Vergleich mit 18,4% gering. In Japan gilt also immer noch: Cash is king.
Erleichterter Konsum
Hinzu kommt, dass Japan lange ein für sich geschlossenes Bezahlsystem hatte. So weicht beispielsweise der Standard für Magnetstreifen der in Japan ausgestellten Kredit- und Debitkarten vom internationalen Standard ab. Die Folge war, dass man seine in Deutschland ausgestellte Karte kaum in Japan nutzen konnte. Wollte man an Bargeld kommen, war dies nur an Bargeldautomaten in Filialen der konbiniKette 7Eleven oder der japanischen Postbank möglich. Auf Druck der Regierung zur Vorbereitung der Olympischen Spiele 2020 haben andere Banken aber nachgerüstet, sodass Touristen auch dort mit ihrer heimischen Karte Bargeld abheben können. Tourismus ist sowieso eines der großen Stichworte in Japan, wenn es um die Digitalisierung des Zahlungsvorgangs geht, denn der Großteil der Touristen kommt aus Japans Nachbarländern China (ca. 37%), Südkorea (18%) und Taiwan (15%). In diesen Ländern werden bargeldlose Bezahlmethoden stark genutzt. In Südkorea beispielsweise lag 2015 der Anteil bargeldloser Zahlungsmittel an allen Transaktionen bei 89,1 % und in China bei 60%.Japans Regierung hofft also, sich mit der Erweiterung der Zahlmethoden den Touristen anzupassen und somit den Konsum während des Urlaubs zu erleichtern. So sind beispielsweise Yahoo Japan und die Ant Financial Services Group aus China eine Partnerschaft eingegangen, um alle Verkaufsstellen, die Yahoos Bezahlmethoden akzeptieren, auch für Alipay-Nutzer zugänglich zu machen. Yahoo erhofft sich damit einen größeren Marktanteil in Japan. Zudem kooperiert die Ant Financial Services Group auch mit Hidaishin, einer Regionalbank aus der Präfektur Gifu. Diese Bank kämpft mit der sinkenden Bevölkerungsanzahl und einer schrumpfenden Wirtschaft und hofft, dass die Möglichkeit, mit Alipay zahlen zu können, die Region attraktiver für Touristen aus China macht.
Finanzielle Anreize
Aber nicht nur Touristen sollen es leichter haben, bargeldlos in Japan zu bezahlen. Auch die Japaner sollen dazu animiert werden. Zielsetzung von „Cashless Vision" ist zum einen, die wirtschaftlichen Auswirkungen des demografischen Wandels zu mindern. Bargeldlose Bezahlsysteme sollen dabei helfen, dem entstehenden Personalmangel entgegenzuwirken, indem die Zahlungsabwicklung schneller und unkomplizierter wird. Zum anderen soll durch digitale Zahlungen der Geldverkehr durchsichtiger und somit die Steuereinziehung effektiver gestaltet und die Wirtschaft durch steigenden Konsum insgesamt angekurbelt werden. Konkret ist der Plan, den Anteil bargeldloser Zahlungsmittel bis 2025 auf 40% und in weiterer Zukunft auf bis zu 80% zu bringen. Dazu wurden 2019/20 die Kampagnen ,,Cashless" und „My Number Point" ins Leben gerufen. Beide subventionieren die Anschaffungskosten für die benötigten Verkaufsterminals, mit denen bargeldlose Zahlungen angenommen werden können, und bieten den Konsumenten einen finanziellen Anreiz in Form von Cash-Back. Zusätzlich dient die „My Number Point"-Kampagne dazu, die Nutzungsrate der 2015 eingeführten „My Number" Identifikationskarte zu steigern. ,,My Number" ist eine staatlich vergebene Nummer, die für die Sozialversicherung, die Steuerzahlung und andere staatliche Dienste genutzt werden kann. Seit 2018 wird auch das Bankkonto mit dieser Nummer verknüpft. Beide Kampagnen schüren den Wettkampf unter den Zahlungsdienstleistern in Japan. Momentan bietet sich Japans Konsumenten ein eher undurchsichtiger Dschungel an Anbietern. Die Tafeln in den konbinis, den japanischen Convenience Stores, die einen darüber informieren, welche Zahlungsmethoden angenommen werden, sind mit zahlreichen Logos geschmückt. In Japan sagt man daher dazu auch „nanraka-pay", was so viel wie „irgendwas-pay" bedeutet. Es sind aber schon die ersten Verschiebungen auf dem Markt sichtbar. So wurde Origami Pay, das als Pionier der QRCode nutzenden Smartphone-Bezahl-Apps in Japan gilt, im Januar 2020 vom Konkurrenten Mercari AG aufgekauft. Es gibt aber auch Anbieter, die angesichts der steigenden Konkurrenz Kooperationen eingehen. Zum Beispiel legen Yahoo und die Line Corporation ihr Management bis Oktober 2020 zusammen, um ihre Alltagsservices wie Line-Pay in emer Smartphone-App zu vereinen.
Überzeugungsarbeit für Privathaushalte
Die Bank of Japan erhebt über die Flow of Funds Accounts Daten über die Bargeldhaltung von Unternehmen, Finanzinstituten, der öffentlichen Hand und von Privathaushalten. Die Daten für das dritte Quartal 2019 zeigen, dass Privathaushalte mit rund 82 % den Großteil des sich im Umlauf befindlichen Bargelds halten. Finanzinstitute sowie Unternehmen halten jeweils nur 9% und 8%. Die Bargeldnachfrage in Japan wird also vornehmlich von privaten Haushalten generiert. Eine Analyse von Hiroshi Fujiki und Kiyotaka Nakashima zeigt, dass rund 42% des sich im Umlauf befindlichen Bargelds gehortet und nur von wenigen Haushalten als Zahlungsmittel für tägliche Einkäufe genutzt werden. Einer der Gründe hierfür ist die vergleichsweise geringe Einbruchsrate in Japan, sodass Bargeld auch sicher zu Hause aufbewahrt werden kann. Dieses Geld befindet sich allerdings nicht im Wirtschaftskreislauf und „arbeitet" nicht. Die Financial Services Agency (FSA) versucht daher aktiv, andere Anlageformen attraktiver für japanische Sparer zu machen. Dazu gehören von der FSA selektierte Finanzprodukte, die ohne Gebühren erworben werden können und deren Dividenden etc. steuerfrei bleiben. In Japan ist allerdings traditionell der Bankensektor gegenüber den Finanzmärkten dominant, sodass auch Sparer ihr Vertrauen eher auf sicherere Anlageformen, wie eben das Bankkonto oder das „Kommodengeld" setzen. Es gilt also noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Wird Japans „Cashless Vision" eine reine Vision bleiben oder zur „Cashless Reality" werden? Die Zukunft wird zeigen, ob sich die Japaner allmählich vom Bargeld trennen werden können und wie sich der Markt für bargeldlose Zahlungsmittel in den nächsten Jahren entwickeln wird.
::: Britt Bielewicz ist Mitarbeiterin des Japonicums des Landesspracheninstituts in der Ruhr-Universität Bochum (LSI). Der Beitrag ist zuerst erschienen in Asia Bridge AB-Special 6-8: 2020.