Daniel Arab

„In der Kalligraphie spüre ich das Ursprüngliche“

20.11.2022

Daniel Arab wurde 1984 in München geboren. Im Alter von drei Jahren zog er mit seiner Familie in den Libanon. Ab 2006 studierte er an der Technischen Kunstakademie in Hamburg und Berlin. Nach seinem Diplom in Kommunikationsdesign im Jahr 2010 gründete er sein eigenes Designlabel unter dem Namen Colorblind Patterns. Er lebt und arbeitet in Berlin.

 

Daniel, Deine Kunst nennt sich Calligraffiti - ein Kofferwort, zusammengesetzt aus Kalligraphie und Graffiti. Welcher dieser beiden Aspekte ist Dir wichtiger?

Schwierige Frage...beides ist mir wichtig. Angefangen habe ich mit Graffiti und bin von da zur Kalligraphie gekommen. Aber ich fühle mich in beiden Welten wohl, dementsprechend ist Calligraffiti genau mein Wohnzimmer.

Fangen wir mit der arabischen Kalligraphie und ihrer historischen Entwicklung an. Dabei stößt man zwangsläufig auf die enge Verbindung zum Islam. Ist die arabische Schrift ohne die Religion nicht denkbar?

Die Schrift gab es schon bei den arabischen Stämmen der vor-islamischen Zeit. Sie hatte kein einheitliches System, sah nicht besonders schön aus und hatte viele lokale und regionale Ausprägungen. Mit dem Aufkommen des Islam änderte sich das. Die Schrift musste vereinheitlicht werden, da man für alle verständlich niederschreiben wollte, was Gott zu sagen hatte, also letztlich das, was wir heute den Koran nennen. Bei der Entwicklung der Kalligraphie spielte auch das islamische Bilderverbot eine Rolle. Das Malen eines Tieres oder eines Menschen wurde als schöpferischer Akt verstanden. Etwas erschaffen kann aber nur Gott. Unsere Aufgabe als Menschen ist es, seine Botschaft weiterzugeben. Die Schrift bekam dadurch eine doppelte Rolle - als Medium für religiöse Texte und als neue, legitime künstlerische Ausdrucksform. Zu diesem Zweck wurde sie immer stärker systematisiert und grafisch stilisiert. Für die Entwicklung hin zur arabischen Schrift, wie wir sie heute kennen, ist der Islam also ein wesentlicher Faktor gewesen.

Dieses Sakrale oder Heilige, wenn man es so nennen will…spürst Du das im künstlerischen Umgang mit der Schrift?

Sakral würde ich es nicht nennen. Ich selbst bin kein Muslim, sondern libanesischer Christ, aber ich bin auch nicht religiös. Was ich spüre, ist das Ursprüngliche. Diese Formen, die schon so lange wiederholt werden, die immer wieder Menschen berühren, auffällige Kontraste, die Tiefe, die man entdecken kann, das finde ich faszinierend.

In der Entwicklung der Kalligraphie bildeten sich früh zwei Stilarten aus, die eckige Kufi- und die kursive Naskhi-Schrift. Was kannst Du darüber sagen?

Kufi ist im Prinzip die ältere Version. Sie wurde irgendwann nur noch in der Architektur verwendet, denn sie ist nicht besonders gut lesbar, dafür aber sehr dekorativ. Naskhi leitet sich vom arabischen Wort نسخ (naskh) her, das bedeutet „kopieren“ oder „reproduzieren“. Diese Schrift ist stark systematiert, mit festgelegten Größen und Abständen. Sie ist gut lesbar und eigenete sich hervorragend für das Schreiben bzw. Abschreiben längerer Texte. Sie wurde mit der Zeit die dominierende arabische Schriftart. Aber auch die Kufi gibt es noch, sie wird heute als eine Art Fenster genutzt, als gestalterischer Freiraum gegenüber der strengeren Naskhi.

Welcher dieser beiden Stile ist für Deine Kunst wichtiger?

Es ist eine Mischung aus beiden. Eine richtige Naskhi-Schrift verwende ich nicht, dadurch bin ich automatisch näher an Kufi. Die Naskhi-Schrift hat eine kommunikative Aufgabe. Meine Kalligraphie hat eine bildhafte, gestalterische Aufgabe. Andererseits: Die Buchstaben, die ich zum Dekorieren verwende, sind optisch oft an der Naskhi orientiert. Hinzu kommt bei mir die Latein-Schrift, die auch einen Einfluss hat.

Du hast Kommunikationsdesign in Deutschland studiert und hast, neben arabischen, auch deutsche Wurzeln. Bevor wir darüber sprechen, nochmal zurück in die arabische Welt und zu dem zweiten Aspekt von Calligraffiti, nämlich Street Art und Graffiti. Deine Jugend hast Du in Tripoli im Libanon verbracht. Was ist das für eine Stadt und wie sah die Szene dort aus?

Die Szene ist sehr klein. Zu Beginn meiner Zeit Ende der 1990 Jahre war ich vielleicht einer von fünf Menschen, die im ganzen Nordlibanon Graffiti gemacht haben. Tripoli ist eine im Laufe der Zeit immer mehr verarmte Stadt. Es gibt viele Probleme, aber auch eine große Offenheit und Toleranz. Meine Inspiration und mein Graffiti stammen aber aus Deutschland. Mein Vater hat mit deutschen Schuhen gehandelt und fuhr immer mal wieder nach Frankfurt am Main. Als Kind habe ich ihn begleitet und auf der Fahrt vom Flughafen zum Bahnhof die Graffiti gesehen. Für mich war das ein Schlüsselerlebnis. Ich wusste, dass das verboten war, und ich habe überhaupt nicht begriffen, wie die Künstler es geschafft haben, diese Bilder zu malen - so groß - wie kann so etwas illegal gemacht werden? Zurück im Libanon habe ich dann selber mit Graffiti begonnen.

Du warst also ein Pionier und einer der ersten, der diese Kultur im Libanon gelebt hat?

Hundert Prozent! Leider gibt es keinen Nachweis dafür (lacht). Ich wurde nie als Pionier gesehen, ich war aber auch irgendwann weg und danach ging es dort erst richtig los. Das hat mich immer etwas geärgert. Irgendwie war ich zu früh für den Libanon und zu spät für Deutschland, wo Graffiti ja schon weit verbreitet war. Im Libanon haben die Leute zunächst nicht verstanden, was ich tue. Nachdem ich meine Freunde eingeweiht hatte, haben wir auch zusammen gemalt. Durch Hip-Hop und MTV wurde Street Art nach und nach mehr wahrgenommen, aber eine Szene in dem Sinne gab es nicht…wir waren die Atek-Crew und wir waren, soweit ich das sagen kann, die Einzigen, die zu der Zeit aktiv waren. Ich fand es damals schade, dass es in Beirut so wenig Street Art gab. Eine Stadt mit Graffiti hat eine Seele, hat Menschen, die etwas zu sagen haben. Die Leute haben wahrscheinlich einfach etwas gebraucht, um die Stärke und Kraft hinter Graffiti zu entdecken. Dass eine Szene existiert, ist für mich ein Zeichen: in dieser Stadt gibt es Leben, hier tut sich was. Dieses super-schnieke Stadtbild, wie wir es aus der Schweiz kennen…alles perfekt, aber todlangweilig! So ist es ja auch im Gestalterischen - zu perfekt, zu fertig gebacken, das ist nicht besonders interessant. Graffiti ist schmutzig, es wird von Menschen gemacht, die zeigen wollen, dass sie da sind. Saubere Wände beschmieren, um deren Existenz zu beweisen. Das finde ich gut.

Lass uns über Deinen weiteren Werdegang in Deutschland reden. Du hast eine gestalterische Ausbildung, hast Kommunikationsdesign studiert. Wie verträgt sich das mit Street Art? Hat das Studium Deine handwerklichen Skills erweitert? Was hast Du für Deine künstlerische Entwicklung daraus mitgenommen?

Graffiti hat mich definitiv zum Design gebracht. Im Studium gab es viele Kommilitonen, die einen ähnlichen Weg hatten, von Graffiti zu Farbenliebe und von da zur Gestaltung. Ich wollte dort eigentlich Zeichnen lernen, Storyboards. Daran bin ich gleich im ersten Semester gescheitert, als der Lehrer im Illustrationskurs meinte, dass ich kein Gefühl für Proportionen hätte. Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Tatsächlich ist meine Art, Menschen zu zeichnen eher comichaft. Im Semester danach war ich dann aber der beste in Typographie. Das war ein Weckruf, weil ich zum ersten Mal in etwas besser war als alle anderen. Da wurde mir klar: Du musst Typograph werden.

Mit Colorblind Patterns, Deinem Label, hast Du die Typographie zum Beruf gemacht, in dem Du sie als Grundlage u.a. für Modedesign nutzt, beispielsweise für Schuhe oder Taschen.

Genau. Ich habe immer viele Ideen gehabt, aber es ist auch klar, dass sich reine Kunst schwieriger verkaufen lässt als ein künstlerisch gestaltetes Produkt. Colorblind Patterns war das Produkt hinter der Idee. Eine Tasche kann man immer gebrauchen. Wenn die Tasche meine Kunst mit verkauft, ist das ein doppelter Erfolg.

Dein Gestaltungsmittel, die Kalligraphie, basiert auf der arabischen Schrift. Ist Schrift bei Dir noch Kommunikation? Ist die Tasche auch ein Text?

Ich habe das früher so gemacht, zum Beispiel arabische Schimpfwörter in meinen Bildern versteckt. Übler Slang, den ich dann besonders schön verschnörkelt habe. Ich liebe einfach Kontraste und fand es toll, wenn die Leute gesagt haben „Oh was für ein schönes Bild“ und dann steht da auf arabisch „Deine Mudda“ (lacht). Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass da eine Botschaft von mir kommt und habe mich irgendwann entschieden, einen Schritt zurück zu treten und nur noch die Formen sprechen zu lassen.

Wie wirkt der Prozess auf Dich selber? Ist Dir immer klar, was Du tust? Weißt Du am Anfang, wo Du am Ende raus kommst?

Ich weiß meistens, wie ich anfangen möchte, aber oft nicht, wohin die Reise geht. Als Künstler bin ich sehr spontan. Meine besten Bildern sind oft die, für die ich wenig Zeit habe und für die ich kaum eine Vorplanung gemacht habe. Wenn meine eigene Energie stimmt, reagieren die Leute positiv, selbst wenn es hier und da ein paar Fehler in der Ausführung gibt. Übertreibt man es mit der Planung, dann wird der Plan im Bild sichtbar. Ich denke für die Betrachter ist es spannender, unterbewusst eigene Muster zu entdecken.

In einem Artikel über Dich, den man im Internet lesen kann, bezeichnet der Autor Dich als „Orient-Futuristen“. Kannst Du mit diesem Begriff etwas anfangen?

Ja, doch…das finde ich spannend und verstehe es als Kompliment. „Futurist“ ist etwas krass, aber dadurch, dass ich immer das Gefühl hatte, zumindest im arabischen Raum, ein paar Schritte voraus zu sein, macht diese Bezeichnung Sinn. Ich habe kein Problem mit Religion und bin sehr für Toleranz in alle Richtungen, aber man merkt auch, wo Religion die Kunst ausbremst. Manche Leute nehmen Kalligraphie nur wahr, wenn es eine Deutung oder einen religiösen Bezug gibt. Das empfinde ich als sehr konservativ. Gerade wenn junge Menschen mit solchen Ansichten kommen, bin ich enttäuscht. Ich sehe eine Zukunft, in der die arabische Schrift als schön empfunden und gefeiert werden kann - auch ohne Inhalt. Vielleicht ist das mein Beitrag zu einem Futurismus des Orients.

Calligraffiti hat auch einen subversiven Charakter, wurde zum Beispiel als Form des politischen Protests im Zuge der „Arabellion“ genutzt, die 2010 in Tunesien begann. Knüpfst Du daran an?

Ich verstehe den Gedanken. Es geht mir aber weniger um Politik, als vielmehr um eine Rebellion im künstlerischen Ausdruck. Kalligraphie, das schöne Schreiben, kennt man traditionell auf Papier, es geht um religiöse Texte, akkurat ausgeführt. Calligraffiti hingegen kann frei von Inhalt sein, riesig groß, mit Tropfen auf eine Wand gemalt. Insofern ist es eine Form von Rebellion, ich würde aber nicht sagen, dass ich es aus einem politischen Grund heraus mache.

Ist Dein künstlerisches Potential, Dein Ausdrucksvermögen, schon voll entwickelt? Oder gibt es etwas, wo Du noch hin willst, wo Du auch noch Zeit brauchst, um da hin zu kommen?

Ja klar, das gibt es. Ich liebe Ornamentik, Bordüren und solche Sachen. Da kann ich noch sehr viel lernen. In der Schrift selber, in der Kalligraphie, auch. Ich sage das immer in meinen Workshops - zwei Stunden und Du bist Kalligraph, das ist die falsche Botschaft, das gibt es nicht! Kalligraphie ist etwas, was Du nie auslernen wirst, eine Lebensaufgabe, es gibt kein Limit zur Perfektion. Jeder muss selbst entscheiden, wie viel Zeit und Hingabe er hinein stecken möchte.

Zum Abschluss würde ich Dir gerne noch drei schnelle Entweder-Oder Fragen stellen und bin schon sehr gespannt auf Deine Antworten. Die erste Frage lautet: Schwarz-Weiß oder Farbe?

(Überlegt lange) Eins muss es sein? Wirklich schwer! Ich würde sagen Schwarz-Weiß. Wenn ich keine Farbe habe, bin ich trotzdem glücklich damit, weil dieser maximale Kontrast zwischen hell und dunkel viel Spielraum bietet. Schwarz und Weiß sind als Pole so weit auseinander…da gibt es eine Menge Zwischenräume und Grautöne. Der Verzicht auf Farbe ist eine Einschränkung, aber Einschränkung bringt auch Kreativität.

Die zweite Frage: Bleistift oder Tinte?

Für die einsame Insel würde ich den Bleistift nehmen. Dinge, die ich mit der Tinte mache, kann ich mit dem Bleistift nachahmen, aber nicht anders herum.

Und die letzte Frage: Zeichnen oder Sprühen?

Zeichnen oder sprühen? Verdammt (überlegt lange)…für die Lebensfreude: Sprühen! Da ist man meistens draußen, das Bild ist groß, man hat immer etwas Dreck an den Händen. Das macht einfach Spaß!

 

Interview: Jörg Siegeler